Donnerstag, 4. Oktober 2007

Trauma Center: Second Opinion (Wii)

Mehr als sechs Jahre Studium, anfallende Studiengebühren, ein praktisches Jahr und dann noch die Promotion. Die Ausbildung zum Mediziner ist mit Sicherheit alles andere als kurzzeitig geschweige denn billig. Schön, dass Nintendo jetzt auch eine Alternative für den Hobbychirurgen auf die Wii gebracht hat, die nicht ganz so ins Finanzielle geht und Abwechslung bietet, von der ein echter Arzt wohl träumt (vielleicht aber auch nicht). Dafür ist diese „Ausbildung“ leider viel zu kurzzeitig.

Herr Doktor, ich glaube ich habe ein Déja-Vu

Sie schlüpfen in die Rolle des Jungdoktoren Derek Stiles, der gerade sein Probejahr am Hope-Klinikum abgeschlossen hat. In einigen Extramissionen spielen sie die japanische Doktorin Dr. Weaver. Ein Schelm, der hier an Emergency Room denkt. Im Spiel führen Sie den unsicheren und etwas voreingenommenen Derek durch zahlreiche und abwechslungsreiche Operationen und auch durch so manche Charakterwandlung.
Das kommt Ihnen bekannt vor? Kein Wunder, Second Opinion ist nicht etwa eine Fortsetzung des DS-Spiels Under the Knife, sondern eine Portierung auf Nintendos neues Zugpferd, der einige Extras und eine tolle Steuerung verpasst wurden.
Die Geschichte ist – überraschend - schön und unterstützt das Gameplay durch Spannung und ausgearbeitete Charaktere. Dabei beschäftigt sich es auch mit moralischen und ernsten Themen, wie zum Beispiel, ob Sterbehilfe in einigen Fällen gerechtfertigt ist. Allerdings schweift die Handlung nie allzu weit in diese Fragestellungen ab. Schade eigentlich, denn so ist es weder Fisch noch Fleisch. Besonders gut gefallen zudem Überraschungen, die den Spieler die Wiimote gar nicht mehr aus der Hand legen lassen.

Herr Doktor, Sie machen das so gut

Anders als in so vielen Titeln für die Wii ist die Steuerung wirklich gelungen. Sie funktioniert reibungslos und präzise.
Ihr erster chirurgischer Eingriff ist noch sehr leicht. Deshalb kann man an ihm auch sehr gut erläutern, wie der Spielablauf gestaltet ist und nicht zuletzt wie die Steuerung funktioniert ohne dabei zu viel zu verraten. Ihr Patient: Ein Motorradfahrer, der die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren hat, durch eine Glastür gestürzt ist und jetzt auf Ihrem OP-Tisch liegt. Der Befund gibt Auskunft über Schnittverletzungen und Glassplitter im Brustbereich und weitere Splitter, die in den rechten Oberarm eingetreten sind.
Erste Aufgabe ist es nun mit Nadel und Faden zwei Schnitte zu nähen. Dabei werden Sie von der Oberschwester geleitet. Sie dient Ihnen als Ratgeber und gibt Anweisungen. Besonders in den ersten Missionen. In dieser ersten Mission wird Ihnen dabei fest vorgegeben, welches Instrument Sie zu wählen haben. Das ist zwar anspruchslos, aber so lernen Sie, dass Sie Instrumente mit dem Nunchuck auswählen und wie Sie es einzusetzen haben. Die Nadel müssen Sie beispielsweise mit gedrücktem A-Knopf in Zickzackbewegungen über die Wunde führen.
Anschließend müssen große Glassplitter aus dem Brustkorb entfernt werden. Dazu nutzen Sie das Forceps (oder auch Operationszange genannt). Sie führen ihn über die Scherbe und ziehen sie mit dem A- und B-Knopf aus dem Fleisch. Hier zeigt sich zum ersten Mal wie präzise die Steuerung ist. Eine zu schnelle Bewegung oder eine zitternde Hand lassen den Fremdkörper die Wunde berühren. Folge: Die Vitalfunktionen sinken (dargestellt durch eine große grüne Zahl oben links im Bildschirm) und die Scherbe hängt wieder an ihrem Ursprungsort fest. Haben Sie dann beide Splitter entfernt müssen Sie die Wunden, die für das Zunähen zu klein sind, mit dem Antibiotischen Gel versorgen. Kleinere Verletzungen wie hier werden so in Sekundenschnelle behandelt - habe ich schon erwähnt, dass Second Opinion in der Zukunft spielt?
Jetzt müssen Sie sich um die Fremdkörper kümmern, die in den Oberarm des Patienten eingedrungen sind. Dazu müssen Sie ihn wohl oder übel aufschneiden. Wo, dass wird Ihnen durch eine gelbe Markierung angezeigt. Nachdem Sie die Stelle unter dem Einsatz des Gels desinfiziert haben, kommt das Skalpell zum Zuge. Hier merken Sie zitternde Hände noch stärker als beim Einsatz des Forceps.
Ist der Arm offengelegt, müssen Sie wieder so agieren, wie bei der Entfernung der großen Splitter. Gemein, das Glas steckt diesmal tiefer im Fleisch und das Herausnehmen wird noch ein bisschen schwerer.
Sobald diese Verletzungen behandelt sind, schließen Sie den Eingriff ab, indem den Schnitt zunähen, die Narbe mit dem Antibiotischen Gel behandeln und eine Bandage darüber legen. Herzlichen Glückwunsch, die erste Operation ist überstanden.

Doch keine Sorge. Nicht alle Missionen sind so leicht. Ganz im Gegenteil, denn im späteren Spielverlauf wird der Schwierigkeitsgrad auch immer wieder mal ziemlich happig. Das liegt vor allem an unerwarteten Wendungen während der Operation, die die Vitalfunktionen stark sinken lassen oder einfach daran, dass Ihnen nicht genau erklärt wird, was Sie genau zu tun haben. Gelegentlich versperrt Ihnen das Interface auch den Blick auf kleinere Wunden in den Ecken des Bildschirms.

Herr Doktor, ich fühl mich so steif und undynamisch

Die Präsentation ist ein Punkt an Second Opinion, an dem sich die Geister scheiden, denn der dominierende Anime-Look spricht mit Sicherheit nicht jeden an. Es fehlt ihr an Dynamik, denn es gibt keinerlei Animationen, die (schön gezeichneten) Hintergründe wirken leer und unbelebt und es könnte auch ruhig ein paar mehr Grafiken der Charaktere geben, denn in bestimmten Situationen passen die Gesichtsausdrücke einfach nicht zur Stimmung und stören die Atmosphäre gewaltig.
Die Optik in den Operationen ist (zum Glück) eher detailarm und ist auch im Animestil gehalten. Es wirkt alles schematisch und alles andere als realistisch.
Auch der Sound hinterlässt gemischte Gefühle. Einerseits unterstützen schöne Musikthemen die Dramaturgie, die an Krankenhausserien wie Emergency Room erinnert, allerdings müssen Sie auch mit wenigen Stücken vorlieb nehmen. Andererseits fällt das Fehlen einer richtigen Sprachausgabe sehr negativ auf. Es gibt nur einige Sprachsamples nach dem Motto "I will save this patient", die die Operation einleiten oder während diesen auf niedrige Vitalfunktionen hinweisen. Aber das sind wir auf Nintendokonsolen mittlerweile gewöhnt. Hat da jemand Twilight Princess gesagt?
Aber die Geschichte wird trotz dieser Mängel sehr gut präsentiert und entwickelt einen ungeheuren Charme, der den Spieler, wenn ihm der Stil denn gefällt, packt.

Herr Doktor, das ging aber schnell

Ein weiterer Kritikpunkt betrifft den Umfang. Erfahrene Spieler werden Second Opinion in circa fünf Stunden durchgespielt haben. Wiederspielwert ist praktisch nicht vorhanden. Ihre Operationen werden zwar am Schluss bewertet, aber es winken weder weitere Missionen, noch andere Extras, die es den Aufwand wert wären, eine höhere Punktzahl zu erreichen. Dafür gibt es nach dem erfolgreichen Durchspielen einige Extramissionen. Die tragen den Schwierigkeitsgrad "Exrem" und spielen sich auch dementsprechend herausfordernd. Sie können quasi an zwei Händen abzählen, wann die Lebensfunktion auf Null steht - Nur für absolute Profis.
Trauma Center
gehört zu der Art von Spiel, die nach dem ersten Durchspielen ein Jahr im Schrank verbringen, bis man es wieder ausgräbt, den Staub von der Hülle pustet und ein weiteres Mal mit ihm Spaß hat.
Denn es brilliert durch große Abwechslung. Während Sie am Anfang noch recht normale chirurgische Eingriffe vornehmen, wird von Ihnen mit fortgeschrittener Spielzeit erwartet eine Bombe zu entschärfen oder im Dunkeln zu operieren, wobei Ihnen als Lichtquelle nur eine Taschenlampe zur Verfügung steht. Außerdem gibt es da ja noch den Virus GUILT, der von einer Terroristen benutzt wird, um die Menschheit auszulöschen. Zwar bekämpfen Sie später fast ausschließlich diese Art von Krankheit, verschiedene Typvarianten beugen Langeweile jedoch vor.

Der geneigte Käufer sollte jedoch beachten, dass es sich bei Trauma Center nicht um eine Simulation handelt, sondern eher als Geschicklichkeitsspiel zu bezeichnen ist. Denn in einer Simulation erwarte ich, dass bei einer Operation am offenen Herzen der Patient bei einem Ausrutscher mit dem Skalpell stirbt und nicht, dass mir das Spiel das einfach vergibt. Dafür begeistern die tolle Steuerung, die passende Story und die Abwechslung in den Missionen.

Leider ist das Spiel viel zu kurz. Bei einem Kaufpreis von 40 Euro erwarte ich ein bisschen mehr als 5 Stunden Spielzeit. Und dann sucht man auch noch vergeblich nach Wiederspielwert. Die Extramissionen nach dem Durchspielen sind mir persönlich viel zu schwer, als dass ich irgendwie Lust hätte, die auch noch zu spielen. Und wofür eigentlich? Die Story ist das ganze Spiel über das einzige, das zum weitermachen motiviert. Und wenn die geschafft ist, verschwindet das Spiel irgendwo in der Versenkung.
Allerdings freue ich mich unheimlich darauf, wenn ich nach ein paar Monaten diese Versenkung durchsuche und auf Trauma Center stoße. Denn dann habe ich noch einmal fünf Stunden tolle Unterhaltung.

Meine Wertung: 7,5 von 10 Punkten

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